Bildungskonferenz zum Thema Bildungsqualität und Sprachenkompetenz

 

Österreich hatte von 14.November 2013 bis 14.Mai 2014 den Vorsitz im Ministerkomité des Europarats inne.
Das Bundesministerium für Bildung und Frauen veranstaltete in Kooperation mit dem Europäischen Fremdsprachenzentrum des Europarats/European Centre for Modern Languages of the Council of Europe eine Bildungskonferenz zum Thema Bildungsqualität und Sprachenkompetenz. Damit sollte gleichzeitig der internationalen Einrichtung in Graz die Möglichkeit gegeben werden sich in seiner Rolle als einziges europäisches strategisches Zentrum im Sprachenbereich zu präsentieren und durch Einladungen an alle 47 Mitgliedsstaaten des Europarats sowie die Staaten mit Beobachterstatus auf die wichtige Unterstützung des Sprachenbereichs durch die bestehenden Mitglieder hinzuweisen wie auch für neue Beitritte Interesse zu wecken.
Die Koordination und Organisation wurde an den Verein Europäisches Fremdsprachenzentrum in Österreich übertragen, dem Trägerverein für die internationale Einrichtung, dessen Mitglieder der Bund (vertreten durch das BMBF und das BMWFW), das Land Steiermark und die Stadt Graz sind.

 

Europas Muttersprache ist die Fremdsprache

 

Spracherwerb als Schlüsselkompetenz für die Zukunft Europas Hochrangige Bildungskonferenz in Graz diskutiert Strategien und Vermittlungstechniken. Erweitertes Verständnis von Kommunikationsfähigkeit als Ziel des Unterrichts Akademisch formuliert standen Mehrsprachigkeit, Qualitätskriterien bei der Sprachausbildung sowie Innovationen im Sprachunterricht im Mittelpunkt der am 20. und 21. März 2014 in Graz tagenden Konferenz "Bildungsqualität undSprachenkompetenz für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts: Traditionen, Herausforderungen und Visionen”.

Welche praktischen Implikationen das Thema Mehrsprachigkeit hat, machte Snežana Samardžić-Marković, die Generaldirektorin für Demokratie im Europarat, in der Eröffnungsrunde am Donnerstag, den 20. März, mit Verweis auf die Krise in der Ukraine deutlich: “Was als Frage von Sprachpolitik begann, entwickelte sich zu einer geopolitischen Krise, die ganz Europa betrifft.” Es zeige sich, wie eng nationale Sprachpolitik und speziell der Umgang mit Minderheitensprachen mit sozialem Zusammenhalt, interkulturellem Dialog, Partizipation und Demokratie in Zusammenhang stünden. “Sprache kann auch eine Quelle von Missverständnissen sein. Das ist nicht das, was Europa heute braucht. Europa braucht Klarheit, Kooperation und ein Bewusstsein dafür, welche zentrale Rolle Bildung und Sprache für Demokratie und Menschenrechte spielen”, so Samardžić-Marković. Die über 30 Mitgliedstaaten des European Centre for Modern Languages (ECML) investierten in ein Politikfeld, das für den gesamten Kontinent extrem relevant sei.


Das ECML spielt bei Fragen des Fremdsprachenerwerbs eine tragende Rolle. Zwischen 600 und 1000 Expertinnen jährlich profitieren vom ECML und tragen das Know-how als Multiplikatoren in ihre Heimatländer. Rund 150 Workshops und Veranstaltungen werden jährlich vom ECML organisiert beziehungsweise ko-finanziert. Das ECML fungiert somit als Plattform, deren Mehrwert auch darin besteht, dass neue Ideen entwickelt und innovative Projekte umgesetzt werden. Das ECML wurde vor zwanzig Jahren als Einrichtung des Europarats gegründet. Die Konferenz in Graz – veranstaltet vom Bundesministerium für Bildung und Frauen (BMBF) und durchgeführt vom ECML – war ein zentraler Beitrag des derzeitigen Vorsitzes von Österreich im Ministerkomittee des Europarats. Rund 150 ExpertInnen und EntscheidungsträgerInnen nahmen an der Konferenz in Graz teil, rund 2200 Interessierte aus ganz Europa nutzten den Live-Stream.


Hanspeter Huber, Leiter der Sektion für Internationale Angelegenheiten und Kultus im österreichischen Bundesministerium für Bildung und Frauen, nahm den Faden von Samardžić-Marković auf. Der Sprachunterricht sei “ein besonders sensibles Thema der nationalen Bildungspolitik.” Mehrsprachigkeit sei ein Kernelement des Bildungssystems; sie ermögliche Mobilität für Studierende wie Berufstätige, begünstige die Beschäftigungsfähigkeit und könne Menschen zu aktiven, aufgeschlossenen Staatsbürgern machen.
Pierre Mairesse, Direktor der Generaldirektion Bildung und Kultur der EUKommission rückte in seinen Ausführungen die Lehrenden in den Mittelpunkt. Wie könnten neue didaktische Konzepte aussehen? Wie lassen sich neue Technologien in den Unterricht integrieren? Jenseits des Unterrichts gewinne– so Mairesse – Sprachkompetenz generell an Bedeutung, letztlich weil sie auch mit Fragen der Beschäftigungsfähigkeit verknüpft sei.


Darüber hinaus repräsentierte Mairesses Referat die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und der Europäischen Union in Sachen Fremdsprachenunterricht. Da beide Organisationen im Auftrag ihrer Mitgliedsstaaten tätig sind, erweisen sich diese Kooperationen als sinnvoll.


Prof. Henry Widdowson (Uni London und Wien) stellte mit seinem Impulsreferat nicht nur herkömmliche Konzepte des Fremdsprachenunterrichts in Frage, sondern thematisierte auch das prinzipielle Verständnis von Fremdheit. Traditionellerweise, so der renommierte Linguist, sei die Wahrnehmung von Fremdheit einer Sprache relativ und werde stets in Bezug zur Muttersprache verstanden. So mache es einen Unterschied, ob es sich um eine Nachbarsprache im Inland oder jenseits einer Grenze handle. Darüber hinaus spielten Status, sozio-kulturelle Nähe, Einstellung und Wahrnehmung eine Rolle. All diese Faktoren, so Widdowson, hätten einen Effekt auf die Motivation eine Sprache zu erlernen. “Hier geht es weniger darum, wie viel jemand kann, sondern ob und in welcher Qualität die Sprachkompetenz vorliegt”, betont Widdowson. Das müsse allerdings nicht zwangsläufig mit den gängigen Kompetenzniveaus gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (dt. GERS/engl. CEFR) zusammen hängen.


Derzeit sei Fremdsprachenunterricht bi-, multi- oder plurilingual ausgerichtet. Das Ziel ist traditionsgemäß die Akkumulation von Sprachkompetenz in einer oder mehreren Fremdsprachen, orientiert am Ideal eines Menschen auf dem Niveau der Muttersprache. Widdowson kritisierte, dass diese Tradition nach wie vor existiere. “Dieses Kompetenzniveau wird nur von wenigen Lernenden erreicht. Was somit wie ein objektiver Maßstab wirkt, ist meiner Ansicht nach eher impressionistisch und geht nicht darauf ein, wofür Lernende die Sprache wirklich benötigen.”
Die künftige Herausforderung bestehe also in der Frage: Was braucht der Lernende tatsächlich? “Eine verallgemeinerte, strategische Fähigkeit, um etwa auf unvorhergesehene kommunikative Erfordernisse reagieren zu können. Das sprachliche Repertoire und das kommunikative Potenzial sollten erweitert werden”, erklärt Widdowson. Seine Vision definierte Widdowson somit als die Fähigkeit zum “languaging”, woran sich letztlich auch die Unterrichtsziele orientieren sollten. Wie das in der Praxis umgesetzt werden könnte, erfordere weitere Forschungen.

 

Der kritischen Anmerkungen von Widdowson am GERS/CEFR schloss sich auch Peter Brown, Gründungs- und Vorstandsmitglied von EAQUALS, das zur Vereinigung von Institutionen und Organisationen im Bereich der Sprachvermittlung rund um das ECML gehört, in der anschließenden Diskussion an. “Man muss den CEFR nicht komplett ersetzen. Aber er ist unvollständig und sollte deshalb erweitert und verbessert werden”, so Brown. Ob Widdowsons Vision von Sprachlernfähigkeit praxistauglich sei, stellte Jutta Gehrig, Direktorin des Goethe-Instituts Budapest, in Frage: „Wie viel Fremdsprachigkeit können sich Schulen tatsächlich leisten?“ Paula Mattila, finnisches Mitglied der internationalen Generalversammlung des ECML berichtete, dass im Zuge der laufenden Reform des Curriculums (“Basic Education 2020 strategy document”) beschlossen worden sei, “das Prinzip des Muttersprachlers hinter sich zu lassen.” Dieser neue Lehrplan baue auf “key competence development“, also die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen: “Neu ist auch, dass den Sprachen, die an der jeweiligen Schule gesprochen werden und dem sprachlichen Repertoire jedes Kindes mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird”, ergänzte Mattila. Neue Vermittlungsformen wurden auch bei der Konferenz selbst erprobt. Drei eigens für die Veranstaltung produzierte Kurzfilme lieferten den Gesprächsstoff für Diskussionsrunden von ExpertInnen mit Beiträgen aus dem Publikum. Das Thema „Lernraum und LernerInnen-Autonomie“ widmete sich der Frage, wie zeitgenössische pädagogische Konzepte in der entsprechenden Architektur abgebildet und umgesetzt werden. Beim „Einsatz neuer Technologien im Unterricht“ diskutierten die TeilnehmerInnen, wie sich zum Beispiel Smartphones für den Fremdsprachenerwerb anwenden und integrieren lassen. In der Runde „Mehrsprachige Bildung“ thematisierten ExpertInnen das Spannungsverhältnis zwischen der Realität der Sprachenvielfalt in Europa auf individueller Ebene und der Schwierigkeit diese in Bildungssystemen umzusetzen. “Ein wichtiger Grund, weshalb es diese Probleme gibt, ist die öffentliche Meinung. Die Basis ist von mehrsprachigem Unterricht nicht überzeugt”, analysierte Susanna Slivensky, Vize- und Programmdirektorin des ECML.

 

Zu Beginn des zweiten Tages fasste Terry Lamb, Präsident der FIPLV (Fédération Internationale des Professeurs de Langues Vivantes), die Beiträge des Vortages zusammen und verknüpfte sie mit der prinzipiellen Frage der Bildungsqualität. Der Freitag galt der Klärung der Bedürfnisse von Sprachkompetenz im 21. Jahrhundert. In einer ersten Runde berichteten VertreterInnen gesellschaftlicher Gruppen von ihren Erfahrungen. “Sprachkompetenz öffnet neue Welten und hat heute eine ganz andere Bedeutung, als noch vor 30 Jahren”, erklärte Lea Renolder, Repräsentantin des Europäischen Jugendforums, aus eigener Erfahrung. Dass Sprachen und die prinzipielle Kommunikationsfähigkeit ein Schlüssel zum Erfolg seien, bestätigte Bernhard Posch, Leiter der AVL Academy. Eine Maßnahme bestehe darin, auch die Familienmitglieder jener Mitarbeiter, die Deutschkenntnisse erwerben wollten, zu den Sprachkursen einzuladen. Martina Grötschnig von der Steiermärkischen Landesregierung berichtete von Erkenntnissen des Schwerpunktprojekts “ZUSAMMENreden” zur Gestaltung eines sprachenfreundlichen Umfelds: “Sprachenvielfalt soll stärker anerkannt und sichtbar gemacht werden. Mehrsprachigkeit macht Freude.” In einer zweiten Runde wurde die „Entwicklung und Förderung von Sprachenkompetenz im 21. Jahrhundert“ mit Hilfe des ECML als Partnerschaftsmodell erörtert. Für Sjur Bergan, Leiter der Abteilung für Bildung im Europarat, ist Bildung mehr als das Erreichen eines bestimmten Kompetenzlevels, sondern lässt lasse sich anhand folgender Ziele definieren: Vorbereitung für den Arbeitsmarkt, was aber nicht das einzige Ziel sein dürfe; Vorbereitung für ein Leben als aktive StaatsbürgerInnen in demokratischen Gesellschaften; traditionelle Ziel der persönlichen Entwicklung. Allerdings, so Bergan, “müsse man zwischen den Zielen nicht wählen, das eine geht ins andere über.“

 

Xavier North, Generaldelegierter für die französische Sprache und für Sprachen Frankreichs im französischen Kulturministerium, lobte die Arbeit des ECML. Deren Kurse und Workshops seien gerade für Sprachlehrende, aber auch für politische Entscheidungsträger relevant: “Der Netzwerk-Ansatz des ECML ist zentral. Denn die Kooperation hilft dabei, Werte auf nationaler Ebene zu implementieren.“

 

Ein wichtiger Aspekt sei die Förderung eines sprachsensiblen Unterrichts, so Bernd Rüschoff, Präsident der Association Internationale de Linguistique Appliquée (AILA). “Erfahrungen zeigen, dass das Erlernen von Sprache besser funktionieren dürfte, wenn alles Lehren als Sprachunterricht aufgefasst wird, und Fremdsprachen nicht separat unterrichtet werden.”

 

Das Abschlussreferat schlug geografisch eine Brücke zum Beginn der Konferenz: Mukhtar Mammadov, Abteilungsleiter für Auslandsstudien und ausländische Studierende im Bildungsministerium von Aserbaidschan, führte aus, dass trotz der Öl- und Erdgas-Ressourcen Aserbeidschans Bildung als “die größte Investition in die Zukunft” seines Landes gelte.

 

Oliver Lehmann | text.unit Tel: +43 676 4012562 | Skype: ViennaLehmann text.unit@oliverlehmann.at | www.textunit.at

 

Die Konferenz: www.ecml.at/conference

Videos der Konferenz

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