15 Jahre EFSZ

Als erweitertes Teilabkommen des Europarats mit Sitz in Graz (Österreich) unterstützt das Europäische Fremd-
sprachenzentrum (EFSZ) seit 15 Jahren seine mittlerweile über 30 Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung von  Innovation in die Praxis im Bereich Sprachen. Das EFSZ ist eine einzigartige zwischenstaatliche Einrichtung und wurde 1995 offiziell eröffnet. Bei einem anlässlich des 15-jährigen Bestehens abgehaltenen Round-Table konnte der Leiter des Zentrums, Waldemar Martyniuk, in- und ausländische Gäste – darunter Wissenschaftsministerin Beatrix Karl und VertreterInnen der Gründungsstaaten Frankreich, Griechenland, Niederlande und Slowenien – begrüßen und eine äußerst positive Bilanz der bisherigen Tätigkeit ziehen.

 

 

15 Jahre Fremdsprachenzentrum des Europarates: „Mehrsprachigkeit ist Teil der europäischen Identität“ 

1995 nahm das Europäische Fremdsprachenzentrum seine Tätigkeit in Graz auf. Bei einem anlässlich des 15-jährigen Bestandsjubiläums abgehaltenen Round-Table konnte der Leiter des Zentrums, Waldemar Martyniuk, in- und ausländische Gäste – darunter Wissenschaftsministerin Beatrix Karl – begrüßen und eine äußerst positive Bilanz der bisherigen Tätigkeit ziehen.

Höchste Anerkennung durch die Politik. Unterrichtsministerin Claudia Schmied betonte in ihrer Grußbotschaft, dass „Plurilingualismus in globalisierten Gesellschaften nötiger denn je“ sei, der Respekt vor der sprachlichen und kulturellen Diversität sei eine wichtige Bedingung für die Aufrechterhaltung unserer demokratischen Gemeinwesen, im Besonderen, was die Integration von MigrantInnen betreffe. Ähnlich äußerte sich die anwesende Wissenschaftsministerin Beatrix Karl: Grenzüberschreitende berufliche Mobilität sei ein zunehmendes Phänomen, das unterstützt werden müsse, mehrere Sprachen zu beherrschen sei „eine Vorbedingung für den produktiven Austausch auf internationaler Ebene.“ Mehrsprachigkeit müsse zur Selbstverständlichkeit werden. Als Ressortverantwortliche hob Karl die intensive Zusammenarbeit des EFSZ mit der Universität Graz – wie sie etwa im Rahmen des „Sprachennetzwerkes“ realisiert wird – und mit anderen österreichischen Universitäten hervor.


Sektionschef Anton Dobart, der in Vertretung der Unterrichtsministerin erschienen war, bedankte sich beim Team des EFSZ für „Engagement und Idealismus“ und nannte das angestrebte Ziel der Sprachenvielfalt ein wirksames Instrument gegen Ausgrenzung. Er plädierte dafür, die Netzwerke des Zentrums auch über Europa hinaus auszudehnen – etwa nach Afrika.
Den Glückwünschen zum Jubiläum schloss sich auch die lokale und regionale Politik an – von LAbg. Prof. Gerald Schöpfer (in Vertretung von Wissenschaftslandesrätin Kristina Edlinger-Ploder), der ebenfalls die sozial integrative Funktion der Mehrsprachigkeit unterstrich, bis Gemeinderätin Elisabeth Potzinger (in Vertretung von Bürgermeister Siegfried Nagl), die betonte, dass Graz stolz sei, jene Stadt zu sein, die das einzige europäische Zentrum beherberge, das der Implementierung von Sprachenpolitik in Europa gewidmet sei. Besonders applaudiert wurde dem im Publikum anwesenden „Gründungsbürgermeister“ des Zentrums, Alfred Stingl, der sich in den Neunzigern vehement dafür eingesetzt hatte, das EFSZ nach Graz zu holen.

Lob von Seiten des Europarates und der EU-Kommission. Die Generaldirektorin für Erziehung, Kultur und Erbe, Jugend und Sport des Europarates, Gabriella Battaini-Dragoni, unterstrich die Expertise des Zentrums bei der Beantwortung neuer Herausforderungen im Bereich der Sprachenpolitik und der Entwicklung innovativer Herangehensweisen im Sprachunterricht. Das Zentrum erfülle die Funktion eines Katalysators und unterstütze die Bildungsreformen seiner über 30 Mitgliedstaaten.


Als Vertreterin der EU-Kommission betonte die stellvertretende Leiterin der Abteilung für Mehrsprachigkeit in der Generaldirektion für Bildung und Kultur, Fiorella Perotto, die gute Zusammenarbeit der EU mit dem EFSZ und nannte mehrere konkrete Beispiele für den Nutzen, den die Abteilung aus der Arbeit des Zentrums bzw. des Europarates ziehen konnte – etwa indem sie sich in ihrer Tätigkeit auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen stützte, der für die kommunikative Kompetenz unerlässliche aktive und passive Sprachfertigkeiten auf sechs Niveaus definiert. Damit werden u.a. Lehr- und Lernziele  europaweit vergleichbar. Auch die vom EFSZ herausgegebenen Leitlinien zum frühen Sprachenerwerb sind in die einschlägigen Aktivitäten der Kommission eingeflossen. Perotto: „Das EFSZ ermutigt in hervorragender Weise Exzellenz und Innovation im Sprachunterricht. Im Rahmen unserer fruchtbaren Zusammenarbeit schätzen wir besonders seine Expertise und seine Bereitschaft zum Networking.“

Keine Projekte aus dem Elfenbeinturm. Der Keynote-Speaker der Festveranstaltung, der Grazer Universitätsprofessor David Newby, gab in seiner humorvollen Ansprache einen Überblick über die bis jetzt geleistet Arbeit des Zentrums. Für jene Personen im Publikum, die nicht zu den „Sprachenprofis“ zählen, skizzierte er die Projektarbeit als Kerntätigkeit des EFSZ: Die Projekte des Zentrums stehen im Rahmen vier Jahre währender so genannter „Medium-term programmes“, deren aktuelles noch bis 2011 dauert und 20 Einzelprojekte umfasst. Zu Beginn der Programmphase werden SprachenexpertInnen aus den Mitgliedstaaten eingeladen, Projektvorschläge einzureichen; zumeist handelt es sich dabei um Personen, die auf dem neuesten Stand der Sprachpolitik sind – wie Lehrerausbildner, FunktionärInnen von Lehrervereinigungen, EntwicklerInnen von Lehrmaterialien und Lehrplänen oder VertreterInnen der jeweiligen Unterrichtsministerien.


Newby betonte, dass es sich dabei um alles andere denn um Projekte aus dem Elfenbeinturm handele, weil deren Mitarbeiter – von Spanien bis Armenien, von Island bis Zypern – ja selbst mitten in der sprachenpolitischen Praxis ihrer Herkunftsländer stehen. Die Projekte „kombinieren innovative theoretischen Erkenntnisse mit ganz konkreten Maßnahmen zur Implementierung der Innovation.“ Von den ExpertInnen wird nämlich verlangt, dass sie in ihren Herkunftsländern Schritte zur Umsetzung der gemeinsam erarbeiteten Vorschläge unternehmen. Die Herkunft der ProjektmitarbeiterInnen aus verschiedenen Ländern gewährleiste zudem, dass es zu keiner „kulturellen Schieflage“ komme.


Der Sprachenunterricht ändert sich rasant. Newby äußerte sich optimistisch, was den „komplexen Zusammenhang“ zwischen der Theorie des Sprachunterrichts und ihrer praktischen Umsetzung betrifft. Während früher oft beklagt wurde, dass die LehrerInnen zu wenig Interesse für die theoretischen Hintergründe ihrer Arbeit zeigten und umgekehrt die Untersuchungen der WissenschafterInnen zu wenig Relevanz für die Arbeit im Klassenzimmer hätten, habe sich das heute geändert: „Die jungen LehrerInnen sind an Innovationen interessiert.“

Statements
Dr. Claudia Schmied, Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur:

"Das Europäische Fremdsprachenzentrum des Europarates (EFSZ) in Graz, dessen 15-jähriges Bestehen wir heute feiern, ist eine Erfolgsgeschichte. Gemeinsam mit Österreich haben Frankreich, Griechenland, Liechtenstein, Malta, die Niederlande, die Schweiz und Slowenien den Grundstein für dieses Zentrum in Graz im Jahr 1994 gelegt. Vor dem Hintergrund einer globalisierten Gesellschaft ist das Thema "Mehrsprachigkeit" heute von größerer Bedeutung denn je: Denn die Befürwortung und Bewahrung von Europas sprachlicher und kultureller Diversität trägt nicht nur zum sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhalt einer Gesellschaft bei, sondern ist auch von hoher demokratiepolitischer Relevanz.
Die heute über 30 Mitgliedsländer des EFSZ haben dies schon vor vielen Jahren erkannt und mit der Gründung bzw. ihrem Beitritt einen sprachenpolitischen Meilenstein gesetzt. In den 15 Jahren seines Bestehens hat das EFSZ in Graz sich zu einer  gesamteuropäischen Spracheninstitution mit enger Vernetzung zur EU entwickelt und ist heute Synonym für erfolgreiche, praxisorientierte europäische Sprachenarbeit."   

Mag. Siegfried Nagl, Bürgermeister der Stadt Graz:

"Das EFSZ ist nicht nur die einzige Einrichtung des Europarates in Österreich sondern Graz ist europaweit der einzige Standort, der sich der Umsetzung der sprachenpolitischen Ziele Europas widmet, die durch die Mitgliedstaaten im Sinne der Europäischen Kulturkonvention verfolgt werden".

 
Keynote David Newby, Experte des EFSZ, Professor Karl-Franzens-Universität Graz 
Bridging the gap between language policy and practice: 15 years of ECML projects 

 download the PDF
 download the powerpoint presentation

 

 

Und er zählte einige der Entwicklungen auf, die in den letzten Jahren den Sprachunterricht geprägt haben: Die rasante Evolution des IKT-Bereichs habe zu einer Ausweitung der Ressourcen, aber auch zu neuen Methoden wie interaktiven Lernplattformen im Internet geführt; der frühere lehrerzentrierte Unterricht sei einem lernerzentrierten gewichen; der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen, der 2001 erschien, fordert von den LehrerInnen, ihre Unterrichtsziele in Form von zu erreichenden Lerner-Kompetenzen zu beschreiben und nicht mehr allein auf den Lehrer-Input zu fokussieren. Die in den darauffolgenden Jahren publizierten Europäischen Sprachenportfolios wiederum verlangen reflektierende Formen des Lernens. Der traditionelle „faktenbasierte“ Landeskunde-Unterricht wird von Unterrichtszielen wie „soziokulturelles Wissen“, „interkulturelles Bewusstsein“ und „interkulturelle Kompetenz“ abgelöst. Und schließlich brachte die Zielvorstellung des Plurilingualismus eine völlig neue Sichtweise: Vom Lerner/ der Lernerin über die unterrichteten hinaus beherrschte Sprachen werden nun nicht mehr wie einst als mögliche Quellen von Interferenzen gefürchtet, sondern als Ressourcen für das Sprachenlernen und für die Entwicklung einer interkulturellen Persönlichkeit geschätzt.


Prinzipien, die in der Praxis wirken. Als praktische Beispiele für die Notwendigkeit und Wirksamkeit der Tätigkeit des Zentrums nannte Newby drei Projekte, an welchen er selbst mitgewirkt hatte, wie etwa „Approaches to Materials Design in European Textbooks: Implementing Principles of Authenticity, Learner Autonomy and Cultural Awareness“, an dessen zentralem Workshop, der 1997 in St. Petersburg stattfand, 50 LehrbuchautorInnen aus 15 Ländern teilnahmen. Diese Arbeiten zur Erstellung von Lehrmaterial kamen 1997 gerade zur rechten Zeit, da die Oststaaten damals mit Lehrbüchern überschwemmt wurden, „die nichts mit der lokalen Unterrichtskultur zu tun hatten“. Die Publikation, die als Ergebnis des Workshops entstand, zeigt in hervorragender Weise zwei Prinzipien auf, an welchen sich die Tätigkeit des EFSZ orientiert: Zum einen ist sie nicht sprachenspezifisch orientiert, die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich ebenso im Spanisch- wie im Estnisch-Unterricht verwerten. Zweitens ist sie Ergebnis eines Meinungskonsenses zwischen den TeilnehmerInnen aus den verschiedenen Mitgliedstaaten. Newby illustrierte dies anhand der im genannten Workshop diskutierten Definition des Unterrichtszieles „Cultural awareness“. Einer der ursprünglichen Vorschläge – „Die SchülerInnen sind stolz auf ihr Land“ – wurde äußerst kontroversiell beurteilt, dem Konsensvorschlag – „Die SchülerInnen entwickeln ein nationales Identitätsgefühl und das Bewusstsein, Mitglied einer internationalen Gemeinschaft zu sein“ konnten letztlich alle TeilnehmerInnen zustimmen.

Die Ausstrahlungskraft des Zentrums reicht bis nach Japan. Als zweites Beispiel für den positiven Impact der Tätigkeit des EFSZ nannte Newby einen Workshop über Kommunikative Kompetenz in multikulturellen Gesellschaften, der 1998 in Zusammenarbeit mit KulturKontakt Austria, dem British Council und der französischen Botschaft im zerstörten Sarajewo abgehalten wurde. An diesem zweitägigen Meeting nahmen LehrerInnen aus allen Teilen Bosnien-Herzegowinas teil – auch eine Gruppe aus der Republika Srpska. Der Workshop leistete – wie von Fachleuten aus der Region im Nachhinein bestätigt wurde – „einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau des lokalen Sprachunterrichtswesens“.
Das dritte von Newby angeführte Beispiel bezog sich auf den aktuellen „Bestseller“ des Zentrums, das Europäische Portfolio für Sprachlehrende in Ausbildung (EPOSA), das die Zielgruppe bei der Reflexion und der Beurteilung ihrer didaktischen Kompetenzen unterstützt und ihnen 195 Deskriptoren an die Hand gibt, mit deren Hilfe sie ihre Fortschritte im Rahmen des Ausbildungsprozesses konkret überprüfen und dokumentieren können. Newby: „Die Reaktionen der Lehrerausbildner in ganz Europa waren überwältigend positiv. Seit der Veröffentlichung auf Englisch, Französisch und Deutsch im Jahr 2004 wurde das EPOSA auf Kroatisch, Niederländisch, Polnisch, Rumänisch, Ungarisch, Litauisch, Griechisch, Italienisch, Russisch und Spanisch übersetzt.“ Auch Länder, die keine Mitgliedstaaten des EFSZ sind, zeigten großes Interesse, aktuell wird das EPOSA ins Türkische übersetzt, und Newby selbst wurde bereits nach Japan eingeladen, um dort eine Reihe von Workshops zu diesem Thema zu halten.

„Die Vielsprachigkeit ist Teil der europäischen Identität.“ Den Abschluss der Veranstaltung bildeten Statements der VertreterInnen einiger Mitgliedstaaten des EFSZ: Der ständige Vertreter Österreichs beim Europarat, Botschafter Thomas Hajnoczi, bezog sich dabei auf seine eigenen Erfahrungen als „Migrant in sechs Ländern“, der nur bestätigen könne, wie wichtig die Beherrschung der jeweiligen Landessprache für die demokratische Teilhabe und die Teilnahme am öffentlichen Leben sei. Sein Schweizer Amtskollege Paul Widmer wies der „Bürgergesellschaft“ die Aufgabe zu, die Motivation für das Erlernen einer weiteren Fremdsprache neben dem Englischen zu stärken: „Auch andere Sprachen müssen wieder mehr Prestige gewinnen“. Der stellvertretende Europarats-Botschafter der Niederlande, Marcel van der Kolk, betonte die Verantwortung des Fremdsprachenunterrichts, die SchülerInnen auf die weiter voranschreitende Globalisierung vorzubereiten. Zdravka Godunc vom slowenischen Bildungsministerium wies darauf hin, dass ihr Land einen besonders bewussten Zugang zur europäischen Mehrsprachigkeit habe, weil es selbst immer multilingual gewesen sei. Die Bewahrung von MigrantInnensprachen könnte zur Herausbildung einer wirklichen plurilingualen Gesellschaft im Europa des 21. Jahrhunderts führen, meinte Godunc.
Auf Griechenland träfe dies bereits jetzt zu, berichtete der griechische Vertreter Panagiotis Economou: In vielen Schulen würden bereits 25 Sprachen gesprochen, interkulturelles Lernen sei ein Muss. Xavier North vom französischen Kulturministerium sicherte schließlich die weitere Unterstützung seines Landes für das Zentrum zu und beschloss die Runde mit programmatischen Überlegungen: Unterschiedliche Sprachen seien kein Kommunikationshindernis, sondern im Gegenteil ein Atout; Europa habe entschieden, dass die Vielsprachigkeit Teil seiner Identität sei – „das ist ein politischer Akt – und Institutionen wie das Europäische Fremdsprachenzentrum setzen ihn um.“ Die Herausforderung liege darin, die Koexistenz der Sprachen zu organisieren, „damit die starken nicht die schwachen zerstören. Dazu muss das Erlernen der Sprache des Anderen gefördert werden.“ Dafür wiederum müsse „das Feld des Sprachenlernens ausgeweitet werden – man darf die Sprachen nicht in den Schulen einsperren“; das Sprachenlernen müsse auf soziale und individuelle Bedürfnisse Antwort geben und sei – der Multikulturalität der meisten europäischen Staaten Rechnung tragend – in den Dienst des sozialen Zusammenhalts zu stellen.


Christian Stenner